erschienen im a tempo 12/2014

 

Reifen statt abnutzen!

 

„Wir gehen mit dieser Erde um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum“, sagte vor langer Zeit die Schauspielerin Jane Fonda wies damit auf unseren mechanistischen Umgang mit dem Planeten hin, der uns alle beheimatet.

Mittlerweile ist uns klar, dass die Erde ein lebendiger Organismus ist, der in ständiger Entwicklung, in Bewegung, in Auf- und Abbau ist. Die Frage lautet:

W i e  können wir mit ihr so zusammen leben, dass sie nicht vor uns und unseren Kindern stirbt?

Genau dieselbe Frage müssen wir auch für unseren eigenen Organismus auf der Erde stellen, denn wir gehen mit unserem Körper um, als hätten wir noch einen zweiten in der Hosentasche.

 

Unser Leben wird immer schneller und länger. Unser Körper ist der Träger dieses Lebens. Und wir sprechen so mechanisch von ihm wie vor Jahren noch vom Organismus Erde, nämlich von Abnutzung, von Verschleiß, von Alterserscheinungen. Wir unterstützen mit Einlagen, mit Brillen, mit Hörgeräten, was nicht (mehr) funktioniert. Gelenke, Gefäße, Organe werden ausgetauscht oder entfernt.

 

                                           Verbrauchen oder Gebrauchen

 

Aber: Der Körper ist keine Maschine, kein Auto. Er folgt den Gesetzen des Lebendigen! Aufbau und Abbau, Wachstum und Regeneration bis zum Tod.

Meinen wir wirklich, dass die Schöpfung bei uns Menschen so mittelmäßig am

Werk war, dass das Funktionierenkönnen aufhört bevor das Leben am Ende ist? Der Gedanke - analog zur Erde - liegt doch nahe, dass wir von Natur aus perfekt ausgestattet sind für das Leben, aber unser Gebrauch nicht adäquat ist.

    Wir bekommen diesen Organismus geschenkt – ohne Gebrauchsanweisung. Welch ein Glück! Denn wenn wir Säuglingen zuschauen können, sie sich Stück für Stück den Umgang mit der Erdanziehung erarbeiten und von der Horizontalen zur Aufrichtung finden, können wir erkennen: Die Gebrauchsanleitung ist in uns und in der Welt. An der Welt und durch den Gebrauch entfalten sich die Fähigkeiten der Sinnes- und aller anderen Organe. Und der Leib wird zum Partner, zum Freund fürs Lebens. Zum anderen  erleben  wir an der Welt w i e  etwas funktioniert. Das Kind lässt sich noch von den Dingen belehren – im besten Sinne des Wortes: die Welt lehrt es ganz sachlich durch ihr so Sein, durch Gewicht, Härte, Wärme. Und falls kein Erwachsener stört, ist jeder (kleine) Mensch von Natur aus ein unbestechlicher Forscher, der den Erscheinungen der Welt auf den Grund gehen möchte. Rudolf Steiner spricht vom „Erkenntnisdrang“ in uns Menschen.

 

                      Jeder Mensch ist von Natur aus Forscher

 

Wann haben wir aufgehört zu fragen? Warum haben wir angefangen gegebene Erklärungen anzunehmen und sie zu lernen?

Und wann wurde aus dem freundschaftlichen Spielenlassen unserer im Kontakt mit der Welt erarbeiteten Fähigkeiten Anstrengung und später Erschöpfung, die nicht mehr regeneriert, sondern zu Hilfsmittel oder Ersatz „zwingt“?

    Zum Beispiel bei den Augen: Kleinen Kindern fallen diese einfach zu, wenn es zuviel an Eindrücken ist oder auch konkret die Augenmuskulatur müde wird. Ihr Organismus sorgt noch selber für sein Gesundsein. Später muten wir unsere Augen mehr zu als ihnen meist gut tut, lesend, Auto fahrend, vor dem Computer. Das erlebende Sehen, bei Kindern noch den ganzen Raum erfassend und den ganzen kleinen Menschen ergreifend, wird allmählich  eingeengt, starr, wird zum Glotzen. Die feine Muskulatur der Augen verkrampft und erschöpft. Wären wir gut Freund mit unserem Organismus, würden wir uns für die Augen und ihre Wohlbefinden interessieren statt nur das Sehen haben zu wollen. Doch als Herrscher über unseren Organismus greifen wir zur (immer stärkeren) Brille. Und machen weiter.

Es gibt viele Menschen, die durch ihre Biografie „gezwungen“ worden sind, sich mit dem Funktionierenkönnen einzelner Organe auseinanderzusetzen. Wieder ohne Brille leben ist möglich - wie auch ohne Rückenschmerzen, ohne künstliche Gelenke, ohne Hämorrhoiden. Wer anfängt von Neuem fragend zu werden, entdeckt schnell das „ganzheitliche Konzept“ der Natur in uns, den Zusammenhang von Augen, Wirbelsäule, Füßen, Atem, Darm. Literatur dazu gibt es genug. Selten jedoch entdeckt man den Zusammenhang von der Qualität des Gebrauchs und der Funktion beschrieben. Von dem Zustand des ganzen Menschen und seiner Gestimmtheit - sozusagen wie ein Instrument - und der damit zusammenhängenden Funktionsmöglichkeit seiner „Einzelteile“.

 

             Zweckmäßiger Gebrauch entfaltet unsere Natur

 

Heinrich Jacoby (1889-1964) war sein gesamtes Leben ein umfassender Forschender auf genau diesem Gebiet. Als Musiker und Pädagoge war er über die Frage der Begabung „gestolpert“. Welches sind die Entstehungsbedingungen von dem, was wir so schnell „musikalisch“ nennen? Wie kommt es überhaupt zu geglückten Leistungen? Ihn interessierte die „biologische Ausrüstung“ des Menschen - jedes Menschen – und der dadurch angelegten Fähigkeiten. Und ihn interessierte die Verbesserung der Resultate allein durch dieses Spielenlassen der Natur in uns. Unsere Sinnesorgane z.B. funktionieren wie Antennen. Um Sehen, Hören, Riechen zu können, brauchen wir nur empfangen. Anstrengung ist dabei nicht nur sinnlos, sondern die damit verbundene Anspannung behindert sogar die Empfangsmöglichkeit.

In der Gymnastiklehrein Elsa Gindler und ihren Kolleginnen Elfriede Hengstenberg und Sophie Ludwig, die - angestoßen von den Reformbewegungen der 1920er Jahre - den Bewegungsorganismus erforschten, fand er Partnerinnen für lebenslange anregende Auseinandersetzung zu allen Fragen des menschlichen Verhaltens. In ihren teilweise gemeinsamen Kursen konnten viele Menschen an sich selbst erleben wie das bewusste Aufgeben von Anstrengung und das sich von den Aufgaben einstellen lassen statt etwas zu „machen“ ihr ganzes Sein als Mensch spürbar verändert zu mehr Stille und Gelassenheit. Und gleichzeitig verändert sich die Qualität: Sehen mit still gewordenen Augen wird räumlicher, weiter – wir sehen mehr als nur das, was wir sehen wollen. Stehen oder Sitzen wird mühelos und lange möglich, wenn statt „Haltung“ die Schwerkraft sich ordnend durch den Organismus auswirken darf. Und um zu schwimmen ist es nötig sich vom Wasser tragen zu lassen, Arme und Beine sorgen nur für Fortbewegung.

 

                       Machen“ oder bereit werden für etwas

 

Genau fünfzig Jahre nach dem Tod von Heinrich Jacoby ist auf der Grundlage seiner Arbeit also die gute Nachricht: unser Organismus ist bestens von der Natur für das Leben ausgerüstet, sogar ein gehandicapter Organismus! Es ist eine Frage von „in Beziehung kommen können“ mit den jeweils vor uns liegenden Aufgaben, egal ob das nun Klavierspielen oder Putzen ist. Und eine Frage der Konsequenz und Disziplin der Weisheit des Organismus zu folgen statt schnellen, mechanischen Erleichterungen oder den Aussagen von Experten. Die Kursteilnehmer von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby hatten oft die Mitte des Lebens überschritten und bewiesen damit auch, dass Entfaltungsmöglichkeit und Veränderbarkeit überhaupt nicht altersgebunden sind.

Von Natur aus können wir also in unserem Organismus lange genug reifen. Nicht automatisch.

Petra Lutz

Praxis für

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